Organisationen sind ständig auf der Suche nach Führungskräften. Dies um so mehr in Zeiten, in denen die Baby-Boomer-Generation in den Ruhestand geht und sich der Arbeitsmarkt verengt. Studien zeigen, dass es ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu einer Führungskraft ist, sich selbst als solche zu sehen. Und doch ist es vielen Menschen unangenehm, sich als Führungskraft zu identifizieren. Was ist der Grund für diese Abneigung? Und welche Strategien kann man ergreifen, um sie zu überwinden?
Angst vor Leadership
Talentierte Mitarbeiter:innen brechen häufig frühzeitig ab, wenn sich die Gelegenheit zur Übernahme einer Führungsposition ergibt. Was sind die Faktoren, die so viele Menschen davon abhalten? In vielen Fällen sind es scheinbare Risiken und die damit verbundenen Ängste, die vielversprechende Talente daran hindern, ihren Weg zu gehen oder ihrer beruflichen Entwicklung im Wege stehen. Die drei im Folgenden beschriebenen Risiken werden am häufigsten in Verbindung mit Führungspositionen wahrgenommen:
Image-Risiko
Das Risiko des Images scheint von wesentlicher Bedeutung für die Wahl einer Führungsposition zu sein. Damit einhergehen unterschiedliche Ängste:
- Angst, als autoritär zu erscheinen
Potenzielle Führungskräfte haben die Befürchtung, als autoritär, autokratisch oder dominierend angesehen zu werden, wenn sie eine Führungsrolle übernehmen würden.
- Angst, besonders herauszustehen
Eine zusätzliche Sorge besteht darin, dass eine Führungsposition dazu führen könnte, aus der Anonymität herausgehoben zu werden und vermehrt Aufmerksamkeit zu erhalten, was für viele junge Menschen ungewohnt ist und nicht mit ihrem Verständnis von Teamarbeit übereinstimmt.
- Angst, unqualifiziert zu erscheinen
Unabhängig davon, ob sie sich selbst für qualifiziert halten, haben viele High Potentials Angst, dass andere sie als unqualifiziert für eine Führungsposition ansehen würden oder von der FOPO (fear of other people`s opinion) gehindert werden, einen weiteren Schritt zur Führungsposition zu unternehmen.
Interpersonales Risiko
Viele zögern vor Führungsverantwortung, da sie befürchten, dass dies ihre Beziehungen zu Kolleg:innen beeinträchtigen könnte. Die Angst, Freundschaften zu gefährden und negative Gefühle bei anderen auszulösen, ist ebenfalls ein häufig auftretendes Hindernis.
Risiko der Schuldzuweisung
Die Angst davor, persönlich für das Scheitern der Gruppe oder des Teams verantwortlich gemacht zu werden, ist ein mächtiger Abschreckungsfaktor. Die Furcht, bei einem kollektiven Misserfolg persönliche Konsequenzen wie den Verlust von Beförderungen zu tragen, hält viele von Führungsaufgaben ab.
Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Ängste Auswirkungen auf unser Selbstbild haben. So gehen Psychologen davon aus, dass Personen, die über ein hohes Maß an Angst haben, sich selbst seltener als Führungspersönlichkeit sehen. Infolgedessen ist es daher unwahrscheinlicher, dass sie als Führungskräfte agieren und von ihren Vorgesetzten als solche angesehen werden.
Wer bewegt sich zuerst?
Ein anderer Aspekt, der bei der Suche und Identifizierung von Führungskräften berücksichtigt werden muss, ist eine Kluft zwischen dem oberen Management und den Mitarbeitenden: Das obere Management wartet oft darauf, dass Mitarbeitende die Hand heben und sagen: „Ich will führen“. Diese hingegen warten aber darauf, dass ihr Chef auf sie zukommt und sagt: „Ich glaube, Sie sind bereit für dieses Projekt“und wagen sich u.a. aus den oben beschriebenen Ängsten nicht aus ihrer Komfortzone. So bleiben alle auf ihren Positionen und fragen sich, warum nichts passiert.
Wie kann man nun diesen Status Quo überwinden? Um notwendige Führungskräfte zu identifizieren, sollten neben den Aktivitäten der Personalabteilung die Führungskräfte überzeugt werden, bei den ihnen unterstellten Mitarbeitenden, auf Leadership-Eigenschaften zu achten und sie zu fördern.
Unterstützung auf dem Weg zur Führungskraft
Neben der Implementierung von Coaching-Maßnahmen erfährt der Mindful Engagement Cycle zunehmend Beachtung.
Wie Coaching helfen kann, die mit den Risiken verbundenen Ängste zu reduzieren
- Interpersonales Risiko
Durch gezieltes Coaching können Führungskräfte lernen, wie sie empathisch führen können, ohne ihre zwischenmenschlichen Beziehungen zu gefährden. Beispiel: Ein Coach kann eine Führungskraft dazu anleiten, aktiv zuzuhören und auf die Bedürfnisse ihres Teams einzugehen, um eine positive zwischenmenschliche Dynamik zu fördern.
- Image-Risiko
Coaching kann Führungskräfte dabei unterstützen, authentisch zu bleiben, während sie ihre Führungsrolle übernehmen. So können Führungskräfte beispielsweise dazu ermutigt werden, ihre Entscheidungsfindung transparent zu kommunizieren, um den Eindruck der Arroganz bzw. der Angst davor, als arrogant wahrgenommen zu werden zu vermeiden.
- Risiko der Schuldzuweisung
Hier kann Coaching dazu beitragen, Führungskräfte darauf vorzubereiten, Verantwortung zu übernehmen und konstruktiv mit Fehlern und Konflikten umzugehen. Führungskräfte könnte ermutigt werden, Misserfolge als Lernmöglichkeiten zu betrachten und gemeinsam mit dem Team nach Lösungen zu suchen.
Mindful Engagement Cycle
Ein weiterer Ansatz zur Unterstützung einer zukünftigen Führungskraft, ist der Mindful Engagement Cycle oder auch Zyklus des achtsamen Engagements genannt.
Achtsames Engagement ist ein Ansatz für die Entwicklung von Führungskräften, der die Person dazu befähigt, ihre eigene Führungsrolle auszubauen. Dieser Ansatz basiert auf der achtsamen Änderung des eigenen Verhaltens. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen:
Angenommen man leitet einen wichtigen Ausschuss. D.h. man sitzt diesem Ausschuss vor und wird ihn ohnehin leiten, da dies die Aufgabe ist. Denkt man nun einen Schritt weiter kann man sich die Frage stellen: „Woran könnte ich an mir arbeiten, wenn ich diese Aufgabe ohnehin mache?“ Es könnte zum Beispiel sein, dass man einflussreicher werden möchte. Oder es könnte sein: Man möchte für die Mitarbeitenden zugänglicher sein. Man ist somit bereit, das anzuwenden, was Experten als „Lernorientierung“ oder „Learning Mindset“ bezeichnen.
In einem nächsten Schritt erfolgt dann die Planung einiger Experimente: Dinge, die man während dieses Experimentes ausprobieren möchten, um sein Ziel zu erreichen. Wenn man also einflussreicher sein will, könnte man ein Experiment machen, indem man sich sagt:
„Ich werde in einer Diskussion über ein bestimmtes Thema als Letzte/r oder als Erste/r sprechen“, oder „Ich werde damit experimentieren, in einem lauteren Tonfall zu sprechen“. Wenn Sie versuchen, zugänglicher für Ihre Mitarbeitenden zu sein, könnten Sie sich sagen: „Ich werde früh zu den Sitzungen kommen, damit ich alle begrüßen kann, wenn sie in den Raum kommen. Anstatt am Kopfende des Tisches zu sitzen, werde ich mich an die Mitte des Tisches setzen“. In einem weiteren Schritt gilt es dann Feedback einzuholen. Das kann entweder dadurch geschehen, dass man sehr aufmerksam auf die Reaktionen der Leute auf sich selbst achtet, beim Versuch, einflussreicher oder zugänglicher zu sein. Oder indem man jemanden in der Arbeitsgruppe identifiziert, den man nach einer Ausschusssitzung um Feedback bitten kann.
Am Ende des Experiments ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen, um über das Geschehene zu reflektieren. Dieser Prozess ist allerdings für viele Menschen unangenehm, da er auch die Konfrontation mit negativen Elementen aus dem Experiment und somit auch eine kritische Auseinandersetzung mit sich selbst beinhaltet. In dieser Situation ist ein Sparringspartner:in der Führungskraft, der Hilfestellung gibt, wichtig. Dies kann eine befreundete Person oder auch ein Coach sein, die/der in regelmäßigen Abständen mit der Führungskraft etwa fünf Minuten lang spricht und diese u.a. fragt: „Was war dein (Wochen-)Ziel? Hast du dein Ziel erreicht? Was hat dich daran gehindert, es zu erreichen?“ Diese Form des Feedbacks von einer vertrauensvollen und neutralen Person hat eine extrem positive Auswirkung auf die Entwicklung der Führungskraft. So kann ein Learning Mindset gerade neuen Führungskräften Orientierung geben und helfen, sich selbst in der Leadership-Rolle weiterzuentwickeln.
Der Weg zur Führungskraft birgt Risiken und Ängste vor den inhaltlichen Herausforderungen, zwischenmenschlichen Konflikten, Schuldzuweisungen und einem negativen Image. Transparente Kommunikation, offener Umgang mit Fehlern und Leadership-Förderung sind entscheidend. Coaching und die Anwendung des Mindful Engagement Cycle stellen wirksame Instrumente dar, um Ängste zu überwinden und Personen in Spitzenpositionen in ihrer Entwicklung zu unterstützen.